Al-Dschasira "führende Rolle" in der Förderung der Liberalisierung arabischer Politik
Laut Norman Solomon, leitender Direktor des in Washington ansässigen „Institute for Public Accuracy“, wächst der Druck der USA auf Katar, Al-Dschasira Einhalt zu gebieten, seit 2001 stetig.
(ips/IZ)Der arabische Sender "Al-Dschasira" ist in den acht Jahren seines Bestehens zu einer der wichtigsten Informationsquellen im Nahen Osten geworden. Von den USA scharf kritisiert, gilt der Nachrichtenkanal manchen als Symbol des Arabismus. "Al-Dschasira ist eine feste Größe, jeder in der arabischen Welt schaltet diesen Sender ein. Er ist vielleicht das einzig übrig gebliebene Fundament eines arabischen Nationalismus. Araber sind stolz darauf", erklärt der libanesisch-amerikanische Filmemacher Jehane Noujaim. Seine hoch gelobte Dokumentation "Control Room" wurde von Al-Dschasira ausgestrahlt.
Der in Doha, der Hauptstadt von Katar, ansässige Sender ist in den arabischen Staaten ein ernsthafter Konkurrent für das US-amerikanische "Cable News Network" (CNN) und die "British Broadcasting Corporation" (BBC). Seine Programminhalte finden jedoch nicht überall Zustimmung. Der irakische Innenminister Falah al-Naqib kritisiert das Negativbild seines Landes, das der Sender vermittle und befürchtet eine dadurch wachsende Kriminalität.
Auch die US-amerikanische Regierung unter Präsident George W. Bush missbilligt Al-Dschasira. Bei einem Treffen mit dem Außenminister von Katar, Scheich Hamad bin Jassim bin Jaber al-Thani, legte dessen Amtskollege aus den USA, Colin Powell, im April formal Protest gegen den Sender ein.
US-Außenamtssprecher Richard Boucher ließ im selben Monat vor Pressevertretern verlauten, man glaube, die "ungenauen, gefälschten und falschen Berichte" sollten die Zuschauer aufwiegeln. Auch Bush selber bezeichnete die offene Berichterstattung insbesondere über zivile Opfer im Irak als "aufrührerisch". Er verurteilte den Sender als "Sprachrohr" für irakische Rebellen und den Anführer der Terrororganisation Al-Kaida, Osama bin Laden. Al-Dschasira wies die Vorwürfe zurück.
Berichten der "New York Times" zufolge weigerten sich die USA, Katar beim diesjährigen G8-Gipfel im Bundesstaat Georgia als Beobachter zuzulassen, weil die Regierung des Staates die "Exzesse" der Fernsehanstalt nicht unterbunden habe. Laut Norman Solomon, leitender Direktor des in Washington ansässigen "Institute for Public Accuracy", wächst der Druck der USA auf Katar, Al-Dschasira Einhalt zu gebieten, seit 2001 stetig.
Dies, so führt Solomon im Gespräch mit IPS aus, liegt im Widerspruch dazu, dass die USA ebenfalls seit Jahren das Fehlen einer freien Presse und anderer demokratischer Freiheiten beklagen. "Das entzieht Washingtons Behauptungen, man unterstütze die Demokratisierung im Nahen Osten, den Boden." Der Experte sieht hier vielmehr den Beweis dafür, dass die US-Regierung Zensur und Unterdrückung fördert.
Angewandte Demokratie
Die diesjährige Verlegung des US-Zentralkommandos (CENTCOM) von Saudi Arabien nach Katar hat nach Angaben des von London aus arbeitenden Al-Dschasira-Sprechers Malek Triki keinen Einfluss auf die Unabhängigkeit des Senders. Die Regierung des arabischen Staates habe eine Art Stillhalteabkommen mit dem Fernsehkanal, so der Journalist.
Triki erklärt den großen Erfolg seines Arbeitgebers und das Aufsehen, das er erregt, mit der politischen und wirtschaftlichen Situation der gesamten Region. Seiner Ansicht nach haben die Führungseliten der arabischen Staaten zwar Entwicklungsmodelle adaptiert, die auf ökonomischem Wachstum beruhen, die damit verbundenen gesellschaftlichen Fortschritte aber ausgeklammert.
"Gemessen an westlichen Standards ist Al-Dschasira nichts Besonderes. Wären wir an einem Ort ans Netz gegangen, an dem Meinungs- und Pressefreiheit herrschen, wären wir nur ein Fernsehsender unter vielen. Aber in der autokratischen, autoritären, zensurbesessenen und tabubesetzten arabischen Welt waren wir eine Innovation", erläuterte Triki auf einem von IPS und dem finnischen Außenministerium unterstützten Seminar im letzten Monat in Helsinki.
Teilnehmer dort waren unter anderem Vertreter der Kanäle "Al-Arabia" mit Sitz in Dubai, "Al-Hurra", US-unterstützt und in Washington ansässig, und der Schule für Massenkommunikation der Universität Kairo. Triki zufolge hat Al-Dschasira eine "führende Rolle" in der Förderung der Liberalisierung arabischer Politik übernommen.
Abwendung von der herrschenden Praxis
Mouin Rabbani, Redakteur des Washingtoner "Middle East Report", begründet die hohen Einschaltquoten des Senders folgendermaßen: "Er hat das Monopol der staatlichen, von der Regierung kontrollierten Rundfunkorganisationen durchbrochen, indem er die übliche Art der Berichterstattung ablehnte."
Anstatt regimekonform oder -verherrlichend zu sein, versorge der Sender die Zuschauer mit Nachrichten, die diesen Namen verdienten, und entlarve gleichzeitig die staatlichen Einrichtungen als unglaubwürdige Machtinstrumente, so Rabbani im Gespräch mit IPS. "Al-Dschasira sitzt in Katar und wird von der königlichen Familie unterstützt, aber die wenigen Male, die Nachrichten aus Katar die Hauptmeldung waren, können Sie an einer Hand abzählen – und dann war es normalerweise auch gerechtfertigt."
Rabbani führt aus, dass bei Al-Dschasira nicht wie vielfach üblich die Reaktion der katarischen Regierung auf das Weltgeschehen in den Vordergrund stellt, sondern die Ereignisse selbst. Auch die Bereitschaft, umstrittene Themen mit der Vielfalt der dazu existierenden Meinungen zu diskutieren – in einer laut Rabbani größeren Vielfalt, als sie von den großen US-Sendern geboten wird –, hat seiner Meinung nach entscheidenden Anteil am Erfolg. "Diese Praxis wird auch von anderen arabischen Kanälen angewandt, zum Beispiel von Al-Arabia aus Abu Dhabi und der "Lebanese Broadcasting Corporation" (LBC). Al-Dschasira ist also nicht einzigartig, aber die Pionierleistung hat er auf jeden Fall vollbracht", so der Journalist.
Behauptung gegen den Widerstand
Für Naseer Hasan Aruri, emeritierter Professor der Universität von Massachusetts, ist Al-Dschasira ein Mysterium. Seiner Einschätzung nach steht die Finanzierung des Senders durch den pro-westlichen Emir von Katar eigentlich nicht dafür, dass man es hier mit der Basis des arabischen Nationalismus und einem Bollwerk gegen US-amerikanische Einflüsse zu tun hat. Dennoch ist Al-Dschasira zur unersetzlichen Quelle für Nachrichten über Verbrechen an Arabern in Palästina und dem Irak geworden.
"Den neo-konservativen Machthabern in den USA ist diese Berichterstattung ein Dorn im Auge. Den US-amerikanischen Massenmedien sind die politischen Wahrheiten hinter den Debakeln im Irak und in Afghanistan und dem "Krieg gegen den Terror" entgangen. Sie arbeiten eher regierungstreu als unabhängig und analytisch", urteilt Aruri im Gespräch mit IPS. Auch er kritisiert die Bush-Administration für ihre Einschüchterungsversuche gegenüber Katar und Al-Dschasira und nicht zuletzt für die Bombardements auf Gebäude des Senders im Irak und in Afghanistan, bei denen es Verletzte und Tote gab.
Aruri glaubt, dass sich die USA nach dem Umzug des CENTCOM nach Katar verstärkt bemühen werden, Al-Dschasira zum Schweigen zu bringen. Er prophezeit, dass es für den Sender im Falle der Durchsetzung US-amerikanischer Interessen schwierig sein wird, einen neuen Sitz zu finden, da die Mehrzahl arabischer Machthaber dazu neigt, sich den Wünschen der USA zu beugen. Dennoch hält er es auch dann für unwahrscheinlich, dass die kritischen Stimmen in der Region verstummen.
Rabbani führt noch weitere Faktoren an, die zum Aufstieg des Fernsehkanals beigetragen haben. Der wichtigste darunter ist für ihn der Standortvorteil. Ähnlich wie CNN 1991 im Golfkrieg war Al-Dschasira bei den Palästinenserunruhen und im jüngsten Irak-Krieg stets vor Ort und in der Lage, die Blickwinkel der Zuschauer zu reflektieren. "Insgesamt gesehen neige ich dazu, zuzustimmen, dass Al-Dschasira eine entscheidende Facette des zeitgenössischen Pan-Arabismus repräsentiert", resümiert der Journalist.
"Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt." by Albert Einstein
"Wer sich mir anschließt, muss bereit sein, auf der nackten Erde zu schlafen, grobe Kleider zu tragen, von anspruchsloser Nahrung zu leben und sein Klo selber zu säubern" by Gandhi
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