T U N E S I E N
Gefährdung bei Rückkehr
1. Menschenrechtslage
In den vergangenen sieben Jahren wurden in Tunesien Tausende von Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert, mißhandelt und nach unfairen Gerichtsverfahren verurteilt.
Festnahmen von gewaltlosen politischen Gefangenen, Folter und Mißhandlung während einer oftmals unzulässig verlängerten Haft ohne Kontakt zur Außenwelt (garde à vue), Tod in Haft unter ungeklärten Umständen oder als Folge von Folterungen, unfaire Gerichtsverfahren, strikte Überwachung nach der Entlassung aus dem Gefängnis, Entzug des Reisepasses und andere Formen von Repression dienten den tunesischen Behörden in den vergangenen Jahren in immer stärkerem Maße dazu, politische Gegner, Regierungskritiker, Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und andere zu bestrafen, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.
Von diesen Menschenrechtsverletzungen und politischen Verfolgungsmaßnahmen sind in der Hauptsache Angehörige der verbotenen islamistischen Bewegung Hizb Al-Nahda (Partei der Wiedergeburt) betroffen. Hunderte von Mitgliedern und Sympathisanten der Hizb Al-Nahda sind deshalb in den letzten Jahren aus Tunesien geflohen. Zudem müssen insbesondere auch die beiden nachfolgend aufgeführten Organisationen mit Verfolgung rechnen:
- Parti Communiste des Ouvriers Tunisiens (PCOT) - Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens
- Ligue Tunisienne des Droits de l'Homme (LTDH) - Tunesische Liga für Menschenrechte
Inzwischen sind darüber hinaus auch Regierungskritiker, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, grundsätzlich in Gefahr, Opfer von Repressalien zu werden. Immer häufiger werden diejenigen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen wenden, nun selbst zu Opfern politischer Repressalien.
2. Gefährdung im Falle der Rückkehr
hat wiederholt davon Kenntnis erlangt, daß insbesondere tatsächliche und vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten der Al-Nahda sowie der UGTE (Union générale tunisienne des étudiants/ Generelle Tunesische Studentenvereinigung), die in Tunesien seit 1991 verboten ist, im Falle ihrer Rückkehr nach Tunesien staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind.
denen zufolge "unliebsame Personen" im Falle ihrer Rückkehr nach Tunesien, auch wenn es sich dabei um eine Urlaubsreise handelte, zum Verhör ins Innenministerium vorgeladen wurden, wo die Betroffenen Verhören ausgesetzt waren und ihnen ihre Pässe entzogen wurden. Darüber hinaus hat unsere Organisation zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Rückkehrer über die gesetzlich zulässige Frist von höchstens zehn Tagen in garde-à-vue Haft festgehalten wurden und zum Teil anschließend zu Haftstrafen und Administrativkontrolle verurteilt wurden. Die Verurteilten wurden beschuldigt, einer nicht zugelassenen Partei anzugehören, illegale Treffen abgehalten zu haben oder aber in Anlehnung an den Artikel 52bis des tunesischen Strafgesetzbuches (Code Pénal) eine terroristische Organisation unterstützt zu haben. In der Mehrheit dieser Fälle fand die Verurteilung auf der Grundlage von unter Folter erzwungenen Geständnissen oder Aussagen Dritter statt. Während des Gerichtsverfahrens wurde weder zur Kenntnis genommen, daß die Geständnisse unter Anwendung von Foltermaßnahmen erzwungen worden waren noch fand die Verifizierung der Zeugenaussagen Dritter statt.
Eine Änderung der tunesischen Strafprozeßordnung (Code de Procédure Pénale) - Ersatz des Paragraphen 305 durch Paragraph 307bis - im November 1993 ermöglicht es seither, tunesische Staatsangehörige strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie im Ausland tunesische Gesetze gebrochen haben, selbst wenn diese Sachverhalte im Ausland keinen Straftatbestand darstellen. So kann beispielsweise die Teilnahme an einer friedlichen Demonstration im Ausland im Falle einer Rückkehr nach Tunesien strafrechtliche Folgen haben.
Tunesier müssen im In- wie im Ausland mit Überwachung durch den tunesischen Geheimdienst rechnen. Nach Erkenntnissen von amnesty international werden auch in der Bundesrepublik Deutschland tunesische Staatsangehörige observiert. Die tunesische Regierung scheint dadurch gut über das politische Engagement von tunesischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet unterrichtet zu sein.
Eine Asylantragstellung im Ausland kann den Verdacht der Mitgliedschaft in einer verbotenen Oppositionsgruppierung wie der Al-Nahda hervorrufen oder einen bereits bestehenden diesbezüglichen Verdacht erhärten. In Verknüpfung mit einer tatsächlichen oder vermuteten oppositionspolitischen Tätigkeit kann eine Asylantragstellung somit durchaus zu einer Rückkehrergefährdung führen.
Fallbeispiele:
· Sofiane Mourali, der seit 1987 in Deutschland an der Fachhochschule Wolfenbüttel Elektrotechnik studierte, wurde am 10. März 1995 am Habib Bourguiba Flughafen in Monastir verhaftet, als er nach einem Besuch bei seiner Familie Tunesien wieder verlassen wollte. Er befand sich bis zum 19. April in garde-à-vue Haft, die die zulässige Frist höchstens zehn Tagen um 30 Tage überschritten hatte. Berichten zufolge soll er während der Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gefoltert worden sein. Am 18. Mai 1995 wurde Sofiane Mourali wegen Zugehörigkeit zur Al-Nahda und der Teilnahme an verbotenen Versammlungen zu drei Jahren Haft und fünf Jahren Administrativkontrolle verurteilt. Der Hauptanklagepunkt bezog sich auf seine vermeintliche Teilnahme an einer Demonstration in Deutschland, bei der Kritik an der tunesischen Regierung geübt worden sein soll. amnesty international betrachtete Herrn Mourali als gewaltlosen politischen Gefangenen. Auf internationalen Druck wurde er aus der Haft entlassen, stand zunächst aber weiterhin unter der Aufsicht der tunesischen Behörden. Im Mai 1996 wurde er jedoch vom Präsidenten begnadigt und konnte wieder in die Bundesrepublik einreisen und sein Studium erneut aufnehmen. Er ist in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt.
· Hafedh ben Garbia, der seit 1986 in Deutschland an der Fachhochschule Wolfenbüttel Elektrotechnik studierte, reiste im April 1995 zu einem Familienbesuch nach Tunesien. Er wurde am 21. April 1995 unmittelbar nach seiner Einreise in Tunesien am Habib Bourguiba Flughafen in Monastir verhaftet. Hafedh ben Garbia wurde bis zum 18. Mai 1995 in unzulässig verlängerter garde-à-vue Haft festgehalten. Auch in seinem Fall wurde die nach tunesischem Recht erlaubte Höchstdauer der Haft ohne Kontakt zur Außenwelt von bis zu zehn Tagen überschritten. Aufgrund eines Nervenleidens benötigte Hafedh ben Garbia medizinische Versorgung. Die Versuche seiner Familie, ihn mit Medikamenten zu versorgen, wurden von tunesischen Behörden unterbunden. Am 27. Mai 1995 wurde Hafedh ben Garbia in Tunis zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt. Das Urteil wurde in der Berufungsinstanz bestätigt und zusätzlich eine fünfjährige Administrativkontrolle gegen ihn verhängt. Auf internationalen Druck wurde er am 22. Mai 1996 aus der Haft entlassen und stand nach der Haftentlassung noch kurze Zeit unter der Aufsicht der tunesischen Behörden. Noch im Mai wurde auch er vom Präsidenten begnadigt, durfte Tunesien verlassen und sein Studium in der Bundesrepublik wieder aufnehmen. Er ist in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt.
· Habib Hemissi arbeitete als Lehrer in Saudi-Arabien. Im Juli 1996 kehrte er nach Tunesien zurück, um dort seine Familie zu besuchen. Er wurde verhaftet und im Mai 1997 zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, das unerlaubte Sammeln von Geldern für die Al-Nahda organisiert zu haben.
· Ali Hadfi, ein in Belgien lebender und mit einer Belgierin verheirateter tunesischer Arbeiter, wurde im Juli 1996 verhaftet, als er zusammen mit seiner Familie Tunesien besuchte. Er wurde beschuldigt, die Al-Nahda zu unterstützen. Im Februar 1997 wurde er aus der Haft entlassen, muß sich jedoch täglich bei der Polizei melden und kann das Land nicht verlassen.
· Mehdi Jarrar hatte in Frankreich einen Asylantrag gestellt. Er soll in Tunesien wegen politischer Anklagen in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt worden sein. Weder seiner Frau noch seinen fünf Kindern war gestattet worden, ihm nach Frankreich zu folgen. Im März 1995 war Mehdi Jarrar nach Malta gereist, wo er von den örtlichen Behörden festgenommen und nach Tunesien abgeschoben wurde. Unmittelbar bei seiner Ankunft in Tunesien wurde er Ende März 1995 festgenommen und über die nach tunesischem Recht zulässige Höchstdauer von 10 Tagen in garde-à-vue Haft festgehalten. Am Abend des 19. April 1995 wurde er von einem bis dahin unbekannten Haftort in das Gefängnis "9 Avril" in Tunis verlegt. Über sein weiteres Schicksal ist amnesty international leider nichts bekannt.
· Abdewahab Memmiche, ein tunesisch-britischer Staatsangehöriger, der jahrelang im Ausland gelebt und dabei regelmäßig seine Familie besucht hat, wurde im Januar 1997 bei seiner Einreise nach Tunesien verhaftet. Er wurde einen Tag lang im Innenministerium festgehalten, wo er geschlagen und über eventuelle Kontakte zu tunesischen Exilpolitikern in London verhört wurde.
· Tawfik Rajhi, der zehn Jahre in Frankreich lebte, wurde während eines Besuches in Tunesien kurz nach der Ankunft über den illegalen Verkauf eines Grundstücks befragt. Später wurde ihm mitgeteilt, es habe sich um eine Verwechslung mit einem Mann gleichen Namens gehandelt. Am 26. Juli 1993 nahmen ihn zwei Polizisten mit, vorgeblich um die Namensverwechslung richtigzustellen. In der Folge befand er sich 23 Tage ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft und wurde am 31. August 1993 wegen Mitgliedschaft in der Al-Nahda zu zwei Jahren Gefängnis und zwei Jahren Administrativkontrolle verurteilt. Das Verfahren wurde geführt, ohne daß irgendwelche Beweise vorlagen. Tawfik Rajhi sagte aus, daß er mißhandelt worden sei und man ihn gezwungen habe, ein vorgefertigtes Polizeiprotokoll zu unterschreiben, das er nicht lesen durfte. Es gibt keine Erkenntnisse über die Zugehörigkeit von Tawfik Rajhi zu der genannten Organisation. Der Bruder von Tawfik Rajhi befand sich allerdings einmal länger als ein Jahr in Haft, weil man ihn angeklagt hatte, für die Al-Nahda illegal politisch aktiv gewesen zu sein. Der Bruder wurde einige Tage nach Tawfik Rajhis Festnahme abermals verhaftet.
· Kamal Sammari, ein tunesischer Mitarbeiter im Internationalen Sekretariat von amnesty international in London, wurde im August 1996 bei seiner Ankunft in Tunesien, wo er den Sommerurlaub mit seiner Familie verbringen wollte, festgenommen. Er wurde eine Woche lang geheim im Staatssicherheitsgebäude des Innenministeriums festgehalten und über seine Arbeit bei amnesty international verhört. Da es zu den Arbeitsprinzipien von amnesty international gehört, nicht zu Menschenrechtverletzungen im eigenen Herkunftsland zu arbeiten, hat die Arbeit von Kamal Sammari bei amnesty international in London keinen Bezug zur Arbeit der tunesischen Sektion von amnesty international. Nach einer Woche im Gewahrsam wurde Kamal Sammari ohne Anklage und ohne weitere Erklärung freigelassen. Während der gesamten Zeit, in der er festgehalten worden war, konnten seine Frau und seine Kinder nichts über seinen Verbleib und die Gründe seines Ausbleibens in Erfahrung bringen. Sie standen zudem unter ständiger Überwachung.
Toller Urlaub für die Familie